Podiumsdiskussion: Nach dem Left Turn in Lateinamerika: "What's Left"?
Der AK Lateinamerika des IPS veranstaltete am 14.1.2016 eine Podiumsdiskussion zum Thema "Left turn in Lateinamerika – What is left?". Die Diskutanten waren PD Dr. habil Wolfgang Muno, Professor für Internationale Beziehungen an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Mainz sowie Dr. Thomas Kestler und Katharina Wagner, M.A., beide Wissenschaftliche MitarbeiterInnen am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg.
Auf Militärdiktaturen und die sogenannte verlorene Dekade der 1980er Jahre folgte in den 1990er Jahren eine Phase institutioneller Reformen und eine marktliberale Wende in der Wirtschaftspolitik. Der Anpassungsschock und externe Krisen führten vielfach zu schweren sozialen Verwerfungen und einem Legitimitätsverlust der etablierten Parteien. Im Jahr 1998 setzte mit der Wahl von Hugo Chávez in Venezuela eine beispiellose Welle linker Wahlerfolge ein, deren Höhepunkt 2009 erreicht wurde, als annähernd 2/3 der Bevölkerung in der Region von linksgerichteten Präsidenten und Präsidentinnen regiert wurden. Zu den wichtigsten Protagonisten gehören neben Hugo Chávez auch Evo Morales in Bolivien, Rafael Correa in Ecuador, Lula da Silva und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff in Brasilien, Nestor und Christina Kirchner in Argentinien, Michele Bachelet in Chile sowie Tabaré Vázquez und José Mujica in Uruguay.
Während die Bevölkerung in Chile, Brasilien, Bolivien, Ecuador und Uruguay die linken Präsidenten und Präsidentinnen in ihrem Amt bestätigten, mussten die Peronisten in Argentinien sowie die Chavisten in Venezuela im vergangenen Herbst eine herbe Wahlniederlage einstecken. Auch die Regierungen in Chile und Brasilien stecken in einer schweren Vertrauenskrise. Aus dieser Entwicklung resultiert die Frage, was von der linken Wende in Lateinamerika übrig geblieben ist.
Diese Frage wurde von den Teilnehmenden äußert kontrovers diskutiert. Durchaus positiv sind die Bemühungen der linken Regierungen bewertet worden, Armut und soziale Ungleichheit zu reduzieren. Durch die erfolgreiche Durchführung von Sozialprogrammen konnte in den von linken Regierungen geführten Ländern eine bedeutende Reduktion der Armut und der sozialen Ungleichheit erreicht werden. Jedoch wurde eingewendet, dass diese Entwicklung nicht nachhaltig sei, da die Sozialprogramme weitestgehend durch den Export von Rohstoffen finanziert worden waren und deren Durchführbarkeit somit in einem beträchtlichen Maße von der Entwicklung des Rohstoffmarktes abhängig ist. Eine weitere positive Bilanz wurde bezüglich der politischen Integration der vormals ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen gezogen. Zum ersten Mal in der Geschichte Lateinamerikas fand ein tatsächliches empowerment der marginalisierten Bevölkerungsgruppen statt, wenngleich diese Entwicklung teilweise durch den verbreiteten Klientelismus und die damit verbundenen Abhängigkeitsverhältnisse in Frage gestellt wird. In Bolivien wurde der erste indigene Präsident Lateinamerikas gewählt. In Chile, Brasilien und Argentinien kamen Frauen an die Macht. Die links regierten Länder weisen die höchste Wahlbeteiligung in Lateinamerika auf.
Diese positiven Entwicklungen verblassen jedoch zunehmend angesichts der gegenwärtigen Krise in Venezuela und Brasilien und des immer deutlicher zutage tretenden Ausmaßes von Misswirtschaft und Korruption in den beiden Ländern, die einst als Modelle eines linken Aufbruchs gegolten hatten.