Geschlechtergerechte Sprache – Ein kurzer Blick auf aktuelle Forschungsprojekte und ein längerer Blick auf ein altes Problem
Im Wintersemester 2019/20 ist das Oberthema des AK Gender ‚Gender & Sprache‘. Am 13.11.2019 fand in diesem Rahmen die erste Veranstaltung statt. Prof.‘in Dr. Gabriele Diewald, Professorin für Germanistische Linguistik am Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Leibniz Universität Hannover, hat einen Vortrag zu gendergerechter Sprache gehalten.
Prof.‘in Dr. Diewald hat zwei Ihrer aktuellen Forschungsprojekte vorgestellt. In dem ersteren Forschungsprojekt wird gendergerechte Sprache interdisziplinär aus Perspektive der Linguistik, der Phoniatrie und der Rechtswissenschaft untersucht. Das linguistische Teilprojekt, das Prof.‘in Dr. Diewald leitet, fokussiert die verschiedenen Verwendungen und Ausprägungen geschlechtergerechter Sprache im Deutschen. Das phoniatrische Teilprojekt, das an der Medizinischen Hochschule Hannover angesiedelt ist, untersucht die mentale Kodierung von Geschlechterstereotypen. Das juristische Teilprojekt erforscht den rechtlichen Rahmen und die gesetzliche Notwendigkeit von geschlechtergerechter Sprache.
Das zweite Forschungsprojekt untersucht, inwiefern sich die Sprache und Ausdrucks- bzw. Darstellungsweise in Forschungsanträgen zwischen Frauen und Männern unterscheidet und aus welchem Grund sich die Annahmeraten von Männern und Frauen bei anonymisierten Forschungsanträgen unterscheiden. Es wurde überprüft, ob Frauen in ihren Anträgen häufiger Formulierungen verwenden, die auf Unsicherheit hindeuten kann (‚Hedging‘). Diese Annahme konnte jedoch empirisch nicht bestätigt werden.
Abschließend ging Prof.‘in Dr. Diewald auf das generische Maskulinum und dessen Rolle in der aktuellen Debatte um gendergerechte Sprache ein. Bislang wird das generische Maskulinum häufig verwendet, um gendergemischte Gruppen oder allgemeine Personengruppen zu bezeichnen, wenngleich auch die jeweils weibliche Personenbezeichnung existiert. Die Verwendung des generischen Maskulinums führt oft zu Unklarheiten, da alle nicht-männlichen Personen grundsätzlich nicht wissen, ob sie mitgemeint sind oder nicht. Gegner*innen gendergerechter Sprache beharren hingegen auf der genderneutralen Lesart des generischen Maskulinums. Diese Lesart ist jedoch eine sogenannte konversationelle Implikatur, die nicht der primären Lesart entspricht. Dies zeigt sich auch in der Sprachgeschichte: Während das Suffix ‚-er‘ als Anzeige für die Tätigkeit einer Person (beispielsweise Müller) verwendet wurde, bezeichnet das Suffix ‚-in‘ die Ehegattin der ersten Person (hier: die Müllerin). Alles in allem hat Prof.‘in Dr. Diewald ein sehr überzeugendes Plädoyer für gendergerechte Sprache gehalten, mit klaren Beispielen und unschlagbaren Argumenten.
Der AK Gender dankt Prof.‘in Dr. Diewald für den informativen und spannenden Vortrag und den zahlreich erschienenen Teilnehmer*innen für ihr Interesse und die guten Diskussionsbeiträge.
Die Veranstaltung wurde aus Mitteln des HDC der Fakultät für Humanwissenschaften finanziert. Einen herzlichen Dank dafür!
Text: Leon Volkamer
Weiterführende Literatur
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