Veranstaltungsbericht zum Vortrag von Dr. Ute Seeland "Wann wird Geschlecht wie in der Medizin berücksichtigt?"
Am 24.01.2024 hat die zweite Veranstaltung der Vortragsreihe „Gender & Medizin“ des Arbeitskreis Gender im Wintersemester 2023/24 stattgefunden. Dr.‘in Ute Seeland (Charité-Universitätsmedizin Berlin, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie; Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e.V.) hat zu "Wann wird Geschlecht wie in der Medizin berücksichtigt?" referiert.
Bei der Gendersensiblen Medizin unter Berücksichtigung weiterer Diversitätsfaktoren (GSM+) handelt es sich um einen neuen Fachbereich mit neuen Begriffen und einem neuen Verständnis. GSM+ hat zum Ziel sowohl das biologische Geschlecht (sex) als auch das soziokulturelle Geschlecht (gender) und darüber hinaus Intersektionalität zu berücksichtigen, da all diese gleichwertig relevant für die Gesundheit sind. Das biologische Geschlecht (weiblich, männlich, intersexuell) lässt sich nach Chromosomen, Genexpression, Hormone, Anatomie usw. differenzieren. Das soziokulturelle Geschlecht (Konstruktion von Frau, Mann, Mädchen, Junge, nicht-binär, transidente Personen, …) wird u.a. durch Alter, Bildungshintergrund, Ethnizität, Familienkonfiguration, Einschränkungen physischer oder neuronaler/ psychischer Funktionen, Wohnort geprägt.
Zu Beginn des Vortrags gab Ute Seeland einen kurzen Umriss der historischen Entwicklung in der Medizin: Die Heilkunst war ursprünglich eine weibliche Domäne, was sich mit der Akademisierung der Medizin in Universitäten änderte, da es nur Männern vorbehalten war zu studieren und Ärzte zu werden. Mit der Frauenrechtsbewegung ab ca. 1970 wurde die Definitionsmacht der Männer im medizinischen Bereich nicht mehr geduldet, besonders wollten Frauen nicht mehr als krank und schwach wahrgenommen werden und Ihre Reproduktion selbstbestimmt entscheiden.
Studien zeigen, dass eine Gendersensible Medizin positiv für Frauen ist, jedoch profitieren Männer noch mehr als Frauen. Das heißt, Gleichstellung (in der Medizin) ist sowohl für Frauen als auch für Männer relevant und positiv. Des Weiteren wird durch Forschung deutlich, dass Frauen und Männer unterschiedlich krank sind, da Frauen und Männer unterschiedliche Chromosomen aufweisen. So sind zum Beispiel Autoimmunkrankheiten genetisch bedingt. Frauen haben durch die XX Chromosomen mehr Gene und dadurch ein höheres Risiko einer Autoimmunkrankheit. Hingegen erkranken Männer häufiger an Krebs. Zusätzlich unterscheiden sich die zehn häufigsten Krankheiten zwischen Frauen und Männern. Bei einer Betrachtung von kardiovaskulären Todesursachen zeigt sich, dass mehr Männer versterben, dass aber Frauen eine höhere Todesrate bei weniger bekannten und ungenauer definierten Krankheiten haben. Ein Grund hierfür ist die Forschung mit Fokus auf Männer: Bei einer geschlechterdifferenzierten Betrachtung der medizinischen Forschung bzw. in klinischen Studien wird ersichtlich, dass 76% der Zellen von Männern stammen, 75% der Versuchstiere männlich sind und 67% der Personen in klinischen Studien Männer sind, hingegen liegt der Männeranteil in der Gesamtbevölkerung bei 49%.
Das Todesrisiko von Frauen ist höher, wenn diese ins Krankenhaus kommen, da eine Diagnose häufiger nicht gestellt werden kann, weil sich die Symptome von Frauen von den „klassischen männlichen Symptomen“ unterscheiden. Frauen- und Männerkörper weisen unterscheide auf, die in der Medizin und medizinischen/pharmakologischen Forschung bisher nicht genug berücksichtigt werden. So unterscheiden sich die Herzen zwischen den Geschlechtern hinsichtlich Muskel- und Bindegewebeanteil. Sexualhormone wirken sich auf Organe aus, allerdings ist bisher wenig über die Verteilung der Rezeptoren im Körper bekannt. Die Menopause ist eine sehr umstrukturierende Phase für Frauen, die mit starken und wechselnden Hormonspiegeln einhergeht und die sich auch auf gesundheitliche Risiken auswirken. So steigt das Risiko für niedrigen Blutdruck, welcher sich auf das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auswirkt. Aufgrund der schwankenden Hormone sollten in der Medizin vier Frauen- und zwei Männertypen unterschieden werden, um Risikofaktoren und Symptome in Behandlungen adäquat zu berücksichtigen. Außerdem ist in der Prävention die Berücksichtigung des Zyklus sehr wichtig, z.B. Variation der Cholesterinwerte.
Des Weiteren beeinflusst der Lebensstil von Frauen ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen stärker, was zu einer erhöhten Mortalität führt. Frauenspezifische Risikofaktoren, wie z.B. frühe oder vorzeitige Menopause, orale Kontrazeption, Frühgeburten, …, werden bisher wenig untersucht oder in Behandlungen berücksichtigt. Interne Repräsentation ist für personalisierte Medizin relevant, da geschlechtsspezifisches Verhalten die Gesundheit beeinflusst und deshalb in der Medizin z.B. in der Prävention Berücksichtigung finden muss.
Zusätzlich wirkt sich Intersektionalität, also die Wechselwirkung zwischen den verschiedenen sozialen Dimensionen wie bspw. Geschlecht, Alter, Ethnizität, sozialer Status, auf die Gesundheit aus. Diskriminierung führt zu mehr Krankheit und es ist wichtig nicht von einem Einheitsmenschen auszugehen, sondern marginale Randgruppen und Menschen als Individuen zu sehen. Das Ziel von GSM+ ist es auf diese Geschlechterdifferenzen aufmerksam zu machen und mehr gendersensible/ -diverse Forschung zu fördern, denn gerade die stärkere Differenzierung würde zu mehr Gleichberechtigung führen.
Der AK Gender bedankt sich bei Ute Seeland für den spannenden und lehrreichen Vortrag und den Teilnehmenden für ihr Interesse.
Weitere Informationen, Kontakt und Möglichkeiten sich zu engagieren: https://www.dgesgm.de/ und https://www.dgesgm.de/veranstaltungsreihe-monthly-lecture.html Ansprechpartner ist Jordan Preuß, über https://www.instagram.com/jungesforumdgesgm/ und E-Mail: jungesforum@dgesgm.de