Deutsch Intern
Institute of Political Science and Sociology

16.10.2024: Forschungskolloquium

Forschungskolloquium am 16.06.2024 zum Thema: Das Konfliktfeld der lokalen Klimapolitik

Im Rahmen des Forum Nachhaltigkeit startete am 16. Oktober 2024 die Veranstaltungsreihe für das Wintersemester 2024/25 mit einer Forschungswerkstatt zum Thema "Nachhaltigkeit und Ethik".  Nach einer kurzen Vorstellung des Forum Nachhaltigkeit durch JProf. Dr. Ulrike Zeigermann  sowie einer kurzen Einführung in das aktuelle Thema „Nachhaltigkeit und Ethik“ durch Dr. Matthias Gsänger gab Marie-Elisabeth Perschthaler mit dem Vortrag „Transformation als Aufgabe. Eine Rekonstruktion von Corine Pelluchons Werk für die evangelische Ethik“ einen kurzen Einblick in ihr Dissertationsprojekt. 

Für ihr Dissertationsvorhaben geht Marie-Elisabeth Perschthaler der Frage nach, inwiefern Ethik ausgehend von einem modernen tugendethischen Ansatz transformativ sein kann. Dabei soll der Begriff der Transformation zunächst grundlegend erklärt werden und anschließend das Werk der Philosophin Corine Pelluchon rekonstruiert werden. In diesem Zusammenhang wird untersucht, ob und inwiefern der Transformationsbegriff in Pelluchons Werk vorkommt und welche Transformationsform von ihr angestrebt wird.  In einem dritten Teil des Dissertationsprojekts soll dann eine Verbindung der ersten beiden Teile hergestellt werden. Für den Vortrag im Rahmen des Forum Nachhaltigkeit wurde der Fokus auf zwei konkrete Themenfelder gelegt. Pelluchons Werke „Zeitalter des Lebendigen“ und „Manifest für die Tiere“, mit denen sich Marie-Elisabeth Perschthaler bisher auseinandergesetzt hat, dienen hierfür als Grundlage. Die vorrangigen Themen dieser beiden Bücher sind Ökologie und Tiere, Pelluchons Menschenbild, sowie die neue Aufklärung.

Im ersten Themenfeld „Vom Schema der Macht zum Schema der Wertschätzung“ werden folgende Probleme thematisiert:  das Vertrauen in die Vernunft, ein übersteigerter Individualismus sowie Anthropozentrismus und die Feindseligkeit gegenüber „Anderen“. Verdeutlicht wird die Art der „Andersartigkeit“ bei Pelluchon anhand der Tierwelt und dem, wie Menschen mit Tieren umgehen. Die zentrale Frage ist, wie dieses „Schema der Macht“ überwunden werden kann. Als Alternativansatz wird daher das interdisziplinäre Konzept der „Ethik der Wertschätzung“ vorgestellt. Dieses stellt Wertschätzung als neues Imaginäres zur Entwicklung einer Mitverantwortlichkeit in aktuellen Krisen ins Zentrum. Als Beispiel kann Aktivismus angeführt werden.

Im zweiten Themenfeld „Vom Humanismus zum Animalismus“ wird der hohe Stellenwert, den Tiere in Pelluchons Werken einnehmen, verdeutlicht. So werden Tiere im Anthropozän als Spiegel der Gesellschaft angesehen. Tiere werden z.B. durch die Akzeptanz von Massentierhaltung oder Schlachthöfen verdinglicht, was den Überlegenheitsgedanken der Menschen und deren Grausamkeit sichtbar macht. Um den Wandel zum Schema der Wertschätzung vollziehen zu können, muss daher nach Pelluchon der moralische und politische Subjektstatus von Tieren anerkannt werden. Dies erfordere ein Bewusstsein für Tierleiden, aber auch für die bedingte Handlungsfähigkeit von Tieren zu schaffen. Nach Corine Pelluchon folgt daraus, dass Animalismus als Erweiterung und nicht als Ersatz des Humanismus zu sehen ist.

Marie-Elisabeth Perschthaler zieht aus ihren bisherigen Analysen folgendes Zwischenfazit: der Transformationsbegriff bei Pelluchon ist ein umfassendes, erweiterndes und alternativloses Konzept. Es geht von einer dreifachen Herrschaft durch Seelenleben, Natur und Gesellschaft aus.

Im zweiten Vortrag der Forschungswerkstatt stellen Dr. Philipp Gieg und JProf Dr. Ulrike Zeigermann ihre bisherigen Forschungsergebnisse zum Thema „Die Verhandlung von Ökozid in der Europäischen Union und in kleinen Inselstaaten“ vor. Der Ursprung der Debatte um die Verrechtlichung von Ökozid findet sich in der internationalen Umweltpolitik und insbesondere mit Blick auf kleine Inselstaaten. Hintergrund ist die zunehmende Umweltzerstörung und -verschmutzung, mit denen Inselstaaten, wie Fidji, Samoa oder Vanuatu konfrontiert werden und die deren Existenz bedrohen. Kleine Inselstaaten kritisieren daher seit den 1970er Jahren, dass „environmental harm“ eher als „soft norm“ angesehen wird und plädieren für eine Kriminalisierung von Ökozid, um so Unternehmen und Menschen zur Rechenschaft ziehen zu können. Zugleich üben sie starke Kritik an bestehenden Normen aus und wollen diese ändern.

Als Untersuchungsgegenstand wurde hier die Europäische Union herangezogen. 2021 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zum Schutz der Umwelt durch das Strafrecht erbracht, durch die Personen und Unternehmen wegen Umweltkriminalität strafrechtlich verfolgt werden können. Ein solcher Gesetzgebungsprozess bietet nicht nur einen guten Einblick in die Debatte zum Thema Verrechtlichung von Ökozid innerhalb der EU, sondern aufgrund der normativen Macht der EU auch auf globaler Ebene. Methodologisch wurde eine qualitative Diskursanalyse durchgeführt. Dabei liegt ein konstruktivistisch geprägtes Normenverständnis vor. Die Verwendung des Begriffs Ökozid wird nach „contested definition“, „contested intensity“ und „contested level“ untergliedert und bewertet. Darüber hinaus wird anhand der folgenden Kriterien untersucht, was an einer Norm explizit kontestiert wird: bei der „justificatory contestation“ werden Normen in ihrer Gültigkeit angegriffen, während bei der „applicatory contestation“ Normen zwar nur in bestimmten Kontexten kontestiert werden, aber man sich grundsätzlich nicht gegen diese ausspricht. Untersucht wurden öffentliche Dokumente, die danach gegliedert wurden, wie progressiv die EU-Organe Europäische Kommission, Europäisches Parlament und Europäischer Rat gegenüber dem gestellten Vorschlag eingestellt sind. Bei allen Vorschlägen der drei EU-Organe wird ersichtlich, dass es keine Nicht-Strafbarkeit mehr geben soll. Zwar lässt sich diesbezüglich keine Kausalität feststellen, jedoch kann man durchaus annehmen, dass eine grundsätzliche Kontestation gegen eine Strafbarkeit nicht mehr möglich sein wird. Beispielsweise erwähnt die Europäische Kommission den Ökozid-Begriff in ihrer Präambel. Das Europäische Parlament nennt Ökozid zwar nicht wörtlich, jedoch werden die Forderungen vom Globalen Süden in Artikel drei zu einem Großteil übernommen. Umstritten ist jedoch die „applicatory contestation“, insbesondere zwischen diesen drei Organen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass kaum noch eine Verrechtlichung von Ökozid kontestiert wird, wenngleich die Intensität und das der Grad der Verrechtlichung weiterhin Verhandlungsgegenstand bleiben. Der Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene kann als neue Direktive für die Erweiterung des internationalen Strafrechts angesehen werden. Die relevante Lobbyarbeit von Akteur*innen aus dem Globalen Süden, die maßgeblich dazu beigetragen haben, darf dabei nicht außer Acht gelassen werden.