18.12.2024: Vortrag
Vortrag von Jun.-Prof. Dr. Katharina Wörn am 18.12.2024 zum Thema „Verzicht als transformative Praxis: Zu den Chancen und Grenzen einer umstrittenen Verhaltensoption“
Im Rahmen des Forum Nachhaltigkeit und in Kooperation mit dem Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik fand am 18. Dezember 2024 die zweite Veranstaltung für das Wintersemester 2024/25 zum Thema „Nachhaltigkeit und Ethik“ statt. Nach einer kurzen Vorstellung des Arbeitskreises Forum Nachhaltigkeit durch Jun-Prof. Dr. Ulrike Zeigermann referierte Jun.-Prof. Dr. Katharina Wörn zum Thema „Verzicht als transformative Praxis. Zu den Chancen und Grenzen einer umstrittenen Verhaltensoption“ mit anschließendem Kommentar von Prof. Dr. Timo Heimerdinger der Universität Freiburg.
In ihrem Vortrag gab Jun-Prof. Dr. Katharina Wörn Vortrag einen Einblick in ihre Habilitationsforschungsarbeit. Ausgangspunkt ihrer hermeneutischen Arbeit sind die aktuellen gesellschaftlichen wie globalen Herausforderungen, durch die das Konzept des Verzichts in den letzten Jahren an Konjunktur gewinnt. Der Begriff “Verzicht“ erweist sich dabei als stark polarisierend und ruft meist entweder eine zustimmende oder ablehnende Haltung hervor: So wird Verzicht auf der einen Seite als gelebte Praxis (z.B. Konsumverzicht, Fleischverzicht) umgesetzt, während er auf der anderen Seite in öffentlichen Debatten als Reizwort oder gar Tabuthema verstanden wird. Allzu schnell wird der Verzicht mit den “negativ“ konnotierten Verwandten, dem Verbot oder dem Mangel, verwechselt und gleichgesetzt, obwohl das Verzichten an sich eine Praxis der freiwilligen Selbstbeschränkung sui generis darstellt. Im Vortrag wurde die eigentümliche “Logik des Verzichts” im Kontext der Herausforderungen der Klimakrise beleuchtet. Nach einer grundlegenden begrifflichen Klärung des Verzichtsbegriffs wurde unter anderem die Rolle des Verzichts als ein Element und mögliches Instrument der sozioökologischen Transformation untersucht. Dabei wurden die Chancen und Grenzen von Verzicht sowie das Verständnis von Verzicht als eine “transformativen Praxis” erläutert.
Prof. Dr. Timo Heimerdinger ergänzte diese Ausführungen in seinem Kommentar mit der empirischen Analyse von Verzichtspraktiken in der Alltagskultur. Im Rahmen seine Forschung untersuchte er eine Berliner Gruppe, die ihren materiellen Besitz im Sinne des Minimalismus als Praxisprogramm reduzieren. Eine interessante Beobachtung ist, dass der Begriff „Verzicht“ von den Feldpartnern eher abgelehnt wird. Statt den Minimalismus als einen persönlichen Verzicht zu sehen, stellt dieser für die Personen eher eine explorative Praxis dar, die keine endgültige Entscheidung impliziert. Der Verzichtsbegriff wird im sprachlichen Gebrauch oft mit Zwang, Ungleichheits- und Verlustvermutungen assoziiert, anstatt mit einer freiwilligen Entscheidung, die Lebensfreude oder Genuss bereiten kann. Die Teilnehmenden der Berliner Gruppe zu Minimalismus sprechen daher eher von Möglichkeiten, Chancen und Erweiterungen des eigenen Lebens als von Verzicht. Inwieweit sich aus diesem Praxisbeispiel ein Konzept eines „Kollektivverzichts“ ableiten lässt, bleibt vorerst offen.