Gastvortrag "Der 'Islamische Staat' und die regionale (Un-)Ordnung im Nahen Osten"
Am Donnerstag, den 22. Januar 2015, besuchte Dr. Stephan Rosiny vom GIGA-Institut das Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg und hielt einen Gastvortrag zum Thema "Der 'Islamische Staat' und die regionale (Un-)Ordnung im Nahen Osten".
Der Hörsaal war fast bis auf den letzten Platz besetzt, als Dr. Rosiny seinen Vortrag mit der Präsentation seiner zentralen These, dass sich der Islamische Staat (IS) als Territorialstaat im Zerfall befände, eröffnete. Aber bevor er Argumente für diese Annahme darlegte klärte er zunächst zentrale Begriffe wie Islamismus, Salafismus und Jihadismus die im Zusammenhang des Islamischen Staates immer wieder fallen. Die Beschreibung des Schauplatzes, der auch als Arena globaler (USA vs. Russland) und regionaler (Sunna vs. Schia/Saudi Arabien vs. Iran; konservative vs. progressive Regime; Muslimbruderschaft vs. Salafismus) Stellvertreterkriege herhalten muss, bildete den nächsten Punkt und verdeutlichte die unübersichtliche Akteurskonstellation im Nahen Osten.
Mit Ausführungen zur Genese der Gruppierung des Islamischen Staates entwirrte Dr. Rosiny das Geflecht der verschiedenen, rivalisierenden Akteure in der Levante, die laut dem Hamburger Wissenschaftler auch ein Grund für den Aufstieg des IS seien. Die Ausrufung des Islamischen Kalifates sei somit vor allem auch ein Produkt des Machtkampes innerhalb des jihadistischen Lagers, deren Pole Al-Quaida/Al-Nusra und IS um die Vorherrschaft in der Region streiten. Schon jetzt waren einige Faktoren für den Aufstieg des IS gefunden, die durch eine genauere Darstellung der Strategie und soft power des IS erweitert wurden. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie dem Durchbruch der irakisch-syrischen Grenze aus dem Sykes-Picot-Abkommen stellt sich der IS an die Spitze zersplitterter Gruppierungen und wirbt ihnen die Mitglieder ab.
Eben diese ehemaligen Faktoren der Stärke befördern den derzeitigen Niedergang des IS, da das Selbstbild des IS vom „unbesiegbaren Streiters für die islamische Sache“ Risse bekommen hat. Momentan bleiben neue Territorialgewinne aus bzw. sind eher Verluste zu verzeichnen, wodurch keine neuen Einnahmequellen erschlossen werden können bzw. alte versiegen. Die Zahlungskraft des IS sei sicherlich ein Grund für die schnelle Expansion gewesen, indem man sich die Loyalität lokaler Autoritäten erkaufen konnte, was jetzt erschwert ist. Zudem erzeugte die brutale Herrschaft des IS ebenso wachsenden Widerstand der lokalen Bevölkerung wie auch Steuerhöhungen aufgrund der finanziellen Schwächung.
Hinzu kam, dass sich mit dem Teilerfolg bei der Schlacht um Kobane auf der Seite der Gegner des IS ebenfalls ein wirkungsträchtiges Symbolereignis vollzogen hat. Nicht zuletzt seien auch interne Probleme wie die Akzeptanz von Kommandostrukturen und Disziplinarverstöße, ebenso wie Hinrichtungen von Deserteuren Anzeichen für die zunehmende Schwächung des IS. Auf der anderen Seite könne man im Irak eine beginnende Konsolidierung beobachten, so dass der IS sein Gebiet an drei Fronten verteidigen muss.
Abschließend erläuterte Rosiny seine Bedenken bezüglich eines Wettlaufs des Terrors und einem verschärften Konflikt zwischen den rivalisierenden Jihadisten. Betreffend der Problematik der Rückkehr von Glaubenskämpfern nach Europa und in andere Staaten plädierte er für eine Exit-Strategie. Als potenziellen Ausweg im Falle des Irak nannte der Spezialist ein Machtteilungsarrangement, das zwar vorerst die konfessionelle Spaltung manifestieren würde, aber durch den Aufbau von Institutionen Vertrauen schaffen könne - ähnlich wie am Ende des libanesischen Bürgerkrieges. Mit Blick auf Syrien gestalte sich die Lage schwieriger, da dem Assad-Regime die Partner fehlen würden.
Die zahllosen Nachfragen und Anmerkungen zeugten vom großen Interesse der Zuhörerinnen und Zuhörer am Vortrag und sprengten die anschließende Fragerunde, so dass auch nach Ende der Veranstaltung noch eine Reihe von Besucherinnen und Besuchern das Gespräch mit dem Referenten suchten.
Nach dem Studium der Politikwissenschaften, Neuere Geschichte und Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, promovierte Dr. Stephan Rosiny dort zum Thema „Islamismus bei den Schiiten im Libanon. Religion im Übergang zwischen Tradition und Moderne“. Über mehrere Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter gelangte er 2010 zum GIGA-Institut (German Institute of Global and Area Studies) in Hamburg. Schwerpunktmäßig forscht er unter anderem zum politischen Islam, Machtteilungsarrangements in multiethnischen Gesellschaften und Religion und Gewalt mit dem Fokus auf die Staaten Bahrain, Irak, Libanon, Palästina und Syrien.
Der Vortrag fand im Rahmen des BA-Ergänzungsmoduls „Failing States und Entwicklungsgovernance im Kontext der vergleichenden Politikwissenschaft“ statt, das sich u.a. mit der Messung fragiler Staatlichkeit, ihren Ursachen und Folgen sowie möglichen Lösungsansätzen sowohl theoretisch wie empirisch beschäftigt.
Text und Fotos: Lukas Lemm